Was macht eigentlich Dietfried Dembowski, Herr Dembowski?
Lange haben wir nichts mehr von Dembowski gehört. Er lebt und langweilt sich auf der Kranichfarm, dann lockt ihn Hauke Schill in die Stadt. Dort erwartet ihn einer, den er vergessen hatte.
Dembowskis Kopf schmerzte. So viel hatte er lange nicht mehr trinken müssen. Er war jetzt seit drei Tagen hier im Soldiner Eck. Jeden Tag ein neues Spiel zum Saisonabschluss. Immer verlor der Underdog. Immer verlor der Underdog nach großem Kampf. Die Langeweile überzog das Land mit der Simulation eines Wettbewerbs, der sich längst abgeschafft hatte. Bielefeld, Elversberg, Saarbrücken. Die Vereinheitlichung der Enttäuschung.
Die Hoffnung auf einen anderen sportlichen Wettbewerb hatte sich mit dem Absturz Leverkusens zu einer Mannschaft der vollkommenen Normalität und der Qualifikation des BVBs für die Champions League ohnehin längst in sonnigere Gefilde verabschiedet. Genügsamkeit hatte sich ausgebreitet. Allenthalben wurde darüber diskutiert, was beinahe hätte sein können, dann aber doch nicht war, weil alles immer nur so weiter ging, wie es schon immer gewesen war und wie es ja vollkommen ausreichend für alle war.
Der Abgrund Profifußball
Der Fußball, und darüber dachte Dembowski seit drei Tagen nach, hatte sich in den Abgrund gestürzt. In den Abgrund durch all die kleinen Regeländerungen. In den Abgrund durch all die großen Wettbewerbsänderungen und Schlupflöcher für die Vereinskonstrukte der Neuzeit. In den Abgrund durch all die verlorenen Abwehrschlachten gegen die schamlosen Reichtümer der neuen Herrscher des Spiels. Der Fußball hatte sich in den Abgrund gestürzt und im ewigen Sturz von der Unberechenbarkeit verabschiedet, wodurch selbst Datenfüchse wie Justin Hagenberg-Scholz längst das Interesse verloren hatten.
Die Herrscher über die Daten schauten auf das, was ihre Modelle ausspuckten, und wendeten sich angewidert ab, denn die Modelle spuckten das aus, was sich wenig später auch auf dem Platz zeigen würde. Nur Johan Rottenberg war glücklich. Ihm fielen immer wieder neue Rekorde in die Hände.
"Die Zuschauer", sagte Rottenberg, "interessiert der fehlende Wettbewerb nicht. Die Zuschauer interessiert auch der Anstieg der Eintrittspreise nicht. Der Fußball ist für den Zuschauer der letzte Ort, an dem unvorhersehbare Dinge passieren können und die dann sogar positiv sind."
HSV-Joe tourt weiter um die Welt
Dembowski wusste nicht, wen er schlimmer fand. Wieso wollte niemand jemals trinken und wieso wollten alle immer nur über Daten reden? Zum Glück gab es noch Hauke Schill. Der war zur Feier des Jahres seit Monaten nur noch in seinem alten HSV-Joe-Bademantel im Eck aufgetaucht. "Was macht Joe eigentlich gerade?", fragte Dembowski, als JHS den Ermittler einmal aus dem Schwitzkasten der Datenmelancholie entließ. "JS Kabylie, Algerien. Ist jetzt Globetrotter. Hatte neulich Besuch. Komm mal mit, ich muss Dir was zeigen."
Hauke Schill öffnete eine Tür und dann, als die erste Tür in Schloss gefallen war und vollkommene Dunkelheit herrschte, öffnete Hauke Schill noch eine Tür. Sie betraten eine andere Klimazone. Lehmige Treppen führten hoch zu versteckten Sitzreihen, Baumfarne bedeckten weite Teile des Raums, ganz hinten waren Mangroven auszumachen, einige Orchideen versteckten sich unter den Lianen, die sich in Richtung Lichthof streckten. Irgendwo plätscherte ein Wasserfall. Auf einem Bildschirm an einem entfernten Ende des Raums lief eine Werbung für das Soldiner Eck. "24 Stunden Kneipe! 24 Stunden Leben! 24 Stunden Jukebox!" Davon war hier nichts zu spüren.
Das Kitzeln der Kangalfische
Aus den Lautsprechern predigte Alpo Myller: "Enoon! - Enoon! - Enoon! - Enoon Discoon! - Discoon! - Discoon! - Discoon! Enoon - Enoon - Enoon!" Ganz oben bei Sitzreihen, tief in der Erde verankert, fanden sich einige Aquarien. Barfuß durchquerte Dembowski den Raum, stieg mit erheblicher Mühe die Treppen hoch. Die Hitze drückte ihn immer wieder in Richtung Boden. Er klammerte sich an sein Schulle. Der Ermittler hatte zu kämpfen.
Die Klänge von Myller. Es war klar, was jetzt passieren würde. Wie lange hatte er ihn nicht gesehen? Dembowski zitterte. Piotr saß auf den Stufen, seine Beine baumelten im Wasser und wenn Dembowski genau hinschaute, sah er die Kangalfische, die sich an den Füßen zu schaffen machten. Er hielt ein paar Notizen in den Händen. "Dembo!", sagte er: "Lass die Beine baumeln." So sollte es geschehen. Das Kitzeln der Kangalfische lenkte ihn nur kurz ab. "Eure Zukunft ist meine Vergangenheit ist eure Gegenwart", sagte Dembowski. "So ging das doch?"
Piotr: Du bist ein Kakadu, Dembowski
Piotr wunderte sich, woran der Ermittler sich erinnerte und woran nicht. "Du hast alles vergessen", sagte Piotr, während die Fische über die Hornhaut herfielen und ein Kakadu sich auf der Schulter Dembowskis niederließ. Er schnappte kurz nach Dembowskis Ohren, die Krallen bohrten sich tief in das Fleisch, sein Shirt war bald in Blut getränkt. Piotr lachte. Er zeigte auf den Vogel, der nicht mehr von Dembowskis Seite weichen wollte.
"Der hier ist Deine Erinnerung. Du hast vergessen, wo du herkommst und wo du hingehst. Das ist normal. Wir alle laufen los und registrieren auf unserem Weg etwas, das uns nicht mehr loslassen will. Erst verführt es uns mit seinem Glanz, überflutet uns dann mit Anerkennung und drängt uns dadurch immer weiter ab. Die Dinge, die wir auf dem Weg sehen, sind eine Bedrohung. Sie greifen einen an", erklärte Piotr.
Piotr: Dembowski bedeutet Stillstand
Die Worte drangen in die offene Wunde an Dembowskis Schulter und breiteten sich immer weiter in seinem Körper aus. Sie hallten nach, Schweiß mischte sich zu dem Blut, die Haare klatschten Dembowski ins Gesicht, auf einem Bildschirm am Ende des Raums loderten die Höllenfeuer. Die Fische rissen an Dembowskis Zehen.
"Wenn wir die Bedrohung am Wegesrand nicht erkennen, bekommen wir große Probleme. Wir sehen bald nicht mehr und Du, Dembowski, bist erblindet. Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart? Nach allem, was ich höre, interessiert dich das nicht mehr. Du sitzt auf deiner Kranichfarm, die, als wir uns zuletzt sahen, eine Lamafarm war, und schwimmst mit Deinem Karpfen. Du verharrst."
Als Dembowski antworten wollte, spielten die Sterne auf. "Ich, ich, ich, ich. Ich, ich. Ich bin ein Arschloch und ich bin eine Armee. Und ich bin ein Arschloch und ich bin beides". Der Ermittler saß auf dem Billardtisch, neben ihm die Heistek und sie wollte mit ihm über Fußball reden. Sie waren für einen Beitrag in der "Ermittler Heute!" verabredet. Der Ermittler war gebrochen.
Das Interview der Woche
EH: Was macht eigentlich Dietfried Dembowski, Herr Dembowski?
DD: Der ist vom Weg abgekommen. Stellen Sie ihn sich als einen Kakadu vor, der umherfliegt, die Orientierung verloren hat und doch jedem etwas ins Ohr plappert. Das, was er ins Ohr plappert, hat er anderer Stelle gehört. Er trägt keinen einzigen eigenen Gedanken mehr in sich.
Wir hören hier gerade Die Sterne. Fragen wir doch mit dieser Rockformation. Was hat Sie bloß so ruiniert?
Wenn ich das nur wüsste. Erst saß ich hier im Soldiner Eck und dann war ich monatelang auf der Farm und habe die Welt ausgeschaltet. Welt aus, Farm an, wenn man so will. Ich habe nur noch Koi gesehen, ich habe Dörte gesehen und das Kranichpaar. Wir haben das gemacht, was wir immer machen. Wir haben nur die Welt nicht mehr an uns herangelassen.
Wie lange haben Sie das durchgehalten?
Bis es mit dem BVB wieder aufwärts ging. Da wollte ich dabei sein. Das hat mich berührt. Weil ich seit einem Jahrzehnt, seit dem Abgang von Jürgen Klopp, ja das Gegenteil prognostiziere und es nie eintritt. All das Unken, all die herbeigeschriebene Sehnsucht nach dem fatalen Absturz, nach dem Aufprall, der den Verein in seinen Grundzügen erschüttern wird? Ohne Sinn und Verstand. Nutzlos. Eine Untergangsfantasie in Ermangelung einer Heldengeschichte. Eine Dystopie, weil es keine Utopien mehr geben kann. Weil alles, was passiert, schon immer passiert ist.
Wie lange haben Sie am Stück getrunken, Herr Dembowski?
Wieso fragen Sie das?
Ihre Antworten sind kaum zu ertragen. Widmen wir uns einem aktuellen Thema.
Sehr gerne. Ich kann Ihnen aber eins bereits vorab sagen: Nichts wird sich ändern.
Dabei ist genau das der Kern meiner Frage: Bei Borussia Dortmund planen Teile der Mitgliedschaft eine Revolution! Sie wollen Hans-Joachim Watzke nach seinem Abschied als Geschäftsführer des Börsen-BVBs aus dem Verein treiben und ihn nicht zu ihrem Präsidenten machen.
Dabei hatte Watzke noch gesagt, dass wenn sein Verein ihn fragt, er das schon machen würde. Jetzt aber fragt ihn sein Verein erstmal nicht, sondern teilt ihm auch mit der Macht der Fans mit, dass sie ihm viel zu verdanken haben, aber alles irgendwann auch einmal endet. Da der aktuelle Präsident, Reinhold Lunow, der aktuelle Präsident ist, sehe ich da aber keine Revolution, sondern nur eine knallende Tür. Das ist legitim.
Hans-Joachim Watzke hat Borussia Dortmund gerettet, Herr Dembowski und den Klub zu internationalem Ruhm und zu immer neuen Reichtümern geführt.
Und er hat sich dabei erfolgreich an alle neuen Zeiten angepasst, ist seinen Weg im Fußball gegangen, doch hat er dabei seine Augen von dem Preis genommen. Er hat sich, auch weil die Situation es durch all die sportlichen Erfolge erforderte, mit all den Menschen eingelassen, die es, zumindest in der Wahrnehmung jener Menschen, die sich an dem Spiel nicht bereichern, sondern es mit ihren Gesängen, mit ihren Taten, mit ihrer Leidenschaft, ihrer Frustration und ihrer Treue bereichern und überhaupt ja erst ermöglichen, sich zur Aufgabe gemacht haben, das Spiel Fußball so auszubeuten, wie die Menschen immer schon alles ausgebeutet haben, was andere Menschen bewegt.
Wer soll diesen Satz verstehen? Kurz gesagt: Hans-Joachim Watzke hat sich mit den falschen Leuten eingelassen?
Ja.
Er hat es für die Menschen auf der Tribüne getan.
Sagt wer?
Hans-Joachim Watzke wahrscheinlich.
Ich weiß nicht, für wen er es getan hat. Seine Verdienste mögen groß und zahlreich sein. Aber er ist das Establishment. Er ist Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA und mir erscheint es, um das jetzt auch nicht ausufern zu lassen, denn gleich ist Conference-League-Finale, schon so, als sei die Kandidatur von Lunow, Scholz und Adelmann auch eine, die den e.V. des BVB vor dem Zugriff des Börsenklubs schützen soll. Wir dürfen eins nicht vergessen.
Ja.
Bei Borussia Dortmund passiert seit Jahren nichts. Stillstand auf ganz hohem Niveau. Es ist Niveau, das ständig neue Kompromisse erfordert. Kompromisse, die an der Identität knabbern wie Kangalfische an der Hornhaut. Das ist Rheinmetall, das ist der Sondertrikotwahn, das sind die zusammengewürfelten Gruppen, die im internationalen Spitzenfußball als Mannschaft deklariert werden und die schneller verschwinden als die Spuren von Ex-Kanzler Olaf Scholz.
Und all das soll Lunow stoppen?
Auf mich wirkt das wie eine Richtungsentscheidung darüber, welcher Fußball in Dortmund in Zukunft gewünscht wird. Einer, der sich komplett enthemmt zeigt, der mit der FIFA bei der Klub-WM ins Bett geht und mit der UEFA im Hinterzimmer dealt oder einer, der national mehr als ein überall als Politbüro verspottete Ansammlung von Funktionären auf der Tribüne ist.
Überall sitzen Menschen auf Tribünen.
Aber an manchen Standorten sitzen andere Menschen auf Tribünen.
Was ergibt sich aus Ihren Beobachtungen?
Die Fans wollen den Verein zurückerobern. Die Fans wollen den Fußball zurückerobern. Sie haben genug, von dem, was sie geboten bekommen. Das so etwas gelingen kann, zeigt das wunderbare Beispiel hier in dieser Stadt. Kay Bernstein hat für das neue Berlin Hertha vom Kapital zurückerobert, indem er den Klub zurück in die Stadt geführt hatte. Das ist ihm nur gelungen, weil er jung war und er eine andere Stadt, er andere Fans kannte. Das gelingt auch seinem unscheinbaren Nachfolger Fabian Drescher. Hertha ist ein perfektes Beispiel, wie der Fußball zurück zu den Menschen kommen kann.
Lunow ist nicht jung.
Jakob Scholz schon.
Herr Dembowski, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Wo geht's hier raus, Frau Heistek?
Sepp stößt auf die Neutralität an
Die Heistek zeigte in Richtung Theke. Da hatte Justin Hagenberg-Scholz zwei Gäste in ein Gespräch verwickelt. Einer von ihnen konnte sich kaum noch auf dem Stuhl halten. In einem anderen Leben hätte Dembowski ihn erkannt. Doch nicht heute. Der Ermittler nahm nur Wortfetzen wahr. Der alte Mann erzählte wohl von seinen Mauleseln, sein Begleiter nickte. Dann stießen sie mit ihren Schulle-Flaschen an. "Auf die Neutralität", riefen sie.
Der alte Mann legte einen 1000-Euro-Schein auf die Theke. "Haben die mir damals nachgeschmissen", sagte er und ging hinaus. Aus der Jukebox ertönten die letzten Fetzen von Nannini und Bennato. Der alte Fußball. Der letzte alte Fußball, den es je gegeben hatte. "Das war der Sepp", sagte JHS. Dembowski schwieg.