Was jetzt, Jürgen Klopp?
Jürgen Klopp verlässt am Ende der Saison Liverpool. Damit hat niemand gerechnet. Die Geheimaktion schockt auch unsere Freunde im Soldiner Kiez. Was passiert jetzt?
Kaum hatte Dembowski die Tür zum Hinterzimmer des Soldiner Ecks für sein tägliches Meeting mit der mobilen DID-Einsatztruppe geöffnet, war es mit der Ruhe vorbei. Über dem Fernseher ging eine rote Lampe an. Sie hatten eine Situation. Jetzt mussten sie nur noch herausfinden, was es war. JHS stürzte sich auf sein iPad und sprach die Worte, die niemand, der den Fußball in den vergangenen 20 Jahren verfolgt hat, je vergessen wird. „Jürgen Klopp verlässt Liverpool. Er hat keine Kraft mehr!“ Reiser, Schill, Dembowski und auch JHS schwiegen. Was war das denn für eine Situation. Erinnerungen krochen ihn ihnen hoch.
Es war, schrieb Liverpool-Reporter Neil Jones später, ihr “JK-Moment”, der “JFK-Moment” der Fußballgeschichte. Auch andere englische Medien überschlugen sich. Am 26. Januar 2024 hatte Jürgen Klopp Fußballgeschichte geschrieben, ohne überhaupt auf einem Platz zu stehen. Vorbei die Rivalität mit Pep Guardiola, die beide zu immer neuen Höchstleistungen getrieben hatte, und damit die Premier League immer weiter von allen anderen Ligen dieser Welt hatte entrücken lassen.
Dembowski gleich wieder in Frankfurt/Oder
Anders als Guardiola aber hatte Klopp immer die richtigen Vereine trainiert. Mainz, Dortmund, Liverpool. Das war etwas anderes als Barcelona, Bayern, Manchester City. Zwischen den Namen lagen Welten, zwischen den Spielstilen ebenso. Doch erst ihr Gegeneinander hatte sie zu dem gemacht, was sie jetzt waren: die größten Trainer ihrer Generation. Auf der Bank waren sie das, was Lionel Messi und Cristiano Ronaldo so lange auf dem Platz waren. Sie waren unverwechselbar, larger than life und keineswegs normal, auch wenn Klopp darauf ja immer schon bestanden hatte. In seinem Kopf mochte es so aussehen, die Normalität aber würde ihm wohl für immer verwehrt bleiben. Dafür hatte er zu viel mit den Menschen gemacht. Schon immer.
Der Ermittler fand seine Stimme. Er schluckte. „2015. Da wusste ich es“, sagte er. Vor seinen Augen zogen die Bilder vorbei. Er, allein in einer Platte in Frankfurt/Oder. Diese Gewissheit des kommenden Endes, in dem Moment als es eigentlich wieder aufwärts ging. Er war damals zurück nach Berlin gereist und hatte alles vorbereiten können, um dann die entscheidenden Worte zu sprechen. „Jürgen Klopp muss Borussia Dortmund verlassen“, hatte er damals gesagt und nicht gewusst, welche Lawine er mit diesen leise durch ein Telefon gesprochenen Worte auslösen würde.
Es waren Worte, die den Fußball für immer veränderten. Hatte er gestern nicht noch über den rasanten Absturz von Klopp in Dortmund geschrieben? Hatte er gestern nicht noch erklärt, wie es zu der Saison 2014/2015 überhaupt kommen konnte und war er dabei nicht einmal auf Shinji Kagawa, diesen größten Fehler der Vereinsgeschichte eingegangen? „Das ist doch verrückt. Jetzt hänge ich hier wieder in Frankfurt/Oder“, murmelte er: “Das ist das Ende der Welt!” Reiser schaute ihn an und wollte gerade etwas sagen, da hatte Schill bereits den Fernseher aufgedreht.
Sohn von Liverpool-CEO Billy Hogan am Boden
Da saß er nun und erklärte das, was er seit November mit sich rumgetragen hatte. Neben ihm kauerte Billy Hogan, der als CEO für Liverpool, aber auch die Eigentümer, die Fenway Sports Group, diesen schweren Tag moderieren musste. Sie hatten ihn über Monate orchestriert, sie hatten den richtigen Termin gesucht und jetzt war es geschehen. Es war vorbei. So richtig, wie Klopp gerade erzählte. Nicht so wie Sir Alex Ferguson, der 2001/2002 erst seinen Rücktritt ankündigte und dann doch blieb, um noch mehr Geschichte mit Manchester United zu schreiben.
„Mein Sohn“, sagte Hogan, „hat gedacht, Klopp wird für immer Trainer bei uns bleiben.“ Sein Sohn, sagte Schill, werde sich bald an einen neuen Namen gewöhnen und das Denkmal könnte er sich doch auch noch anschauen. „Werden sie ihm bauen. Die Wette gilt. Tiptop.“ Noch scherzten die Runde im Soldiner Eck. Was sollte sie sonst auch tun?
„Ich wollte hier nicht einfach nur rumhängen und irgendwie meinen Job machen“, erklärte Jürgen Klopp auf dem riesigen Bildschirm im Hinterraum des Soldiner Ecks. „Genau wie ich. Er ist mein Bruder“, rief JHS: „Ich bin auch normal geblieben und gebe immer 110 Prozent! Mein Job ist mein Leben. Ich kenne nichts anderes.“
Jetzt kommt der Trauzeuge
Der Ermittler konnte ihm nur zustimmen. Er kannte nichts anderes und für seinen Job verriet er auch einmal seine Freunde. Das unterschied ihn von Klopp, der ja in den all den Jahren vielleicht mit seiner Werbung genervt hatte, der es auf Pressekonferenzen gerne überzog und der, Menschenfänger und Fußball-Innovator, der er nun mal war, mit seiner überbordenden Begeisterung nicht überall auf Zustimmung getroffen war. Seine gewinnende Art verstörte die, die wussten, dass sie ihn nie bei ihrem Verein sehen würden. Sie hatten davor Angst. Sie hassten es, ihn zu lieben und überspielte ihre Furcht mit Zynismus.
Dabei hatte Klopp in England in seinen Anfangsjahren eine unfassbare Welle der Begeisterung ausgelöst, die sogar Norwich und Huddersfield in die Premier League gespült hatte. Eine Reihe von Epigonen hatten die Chancen genutzt und dort angeheuert. David Wagner, Daniel Farke und sogar Jan Siewert waren allein aufgrund ihrer Vereinsfarben auf die Insel ausgeflogen worden und hatten sich dort mit ihrer Verbindung zu Klopp aufplusternd so etwas wie Dorflegendenstatus erarbeitet.
Bis auf Siewert waren sie längst zurück auf der Insel und vergoldeten ihr Glück in Leeds und Norwich, gegen die Klopp nun kurioserweise sein erstes Spiel seiner Abschiedstour spielen würde. „Klopp gegen seinen Trauzeugen. Das sind Geschichten, die nur der Fußball schreibt“, rief Reiser begeistert und rief gleich mal bei Wagner an. Ohne Erfolg. „Ich bleibe dran, versprochen“, sagte er. „Das sind Emotionen pur!“ JHS blickte ihn an und dankte ihm für das Update.
Dembowski: Klopp muss jetzt ins Soldiner Eck ziehen
JHS‘ Finger flogen übers iPad. Er fand die kleinsten Details und er sah, dass Klopp nicht gelogen hatte. Er hatte an Kraft verloren. Seine Jubelläufe sprachen Bände. „Schau mal genau hin, Dietfried“, sagt er und zeigte auf acht Videoaufnahmen. „Er hat in den letzten Jahren 0,84 Sekunden verloren.“ „Wobei?“ „Schau doch auf seinen Arm. Der geht viel langsamer hoch. Und da habe ich mit seiner Grundgeschwindigkeit noch überhaupt nicht angefangen.“ Klopp, sagte JHS, benötige Luft und Normalität und die würde er ihm schon beibringen. Schill verließ den Raum. Solch einen Schwachsinn wollte er sich nicht länger anhören.
„Ich weiß einfach nicht, was ein normales Leben ist. Ich muss das erst einmal rausfinden“, sagte Klopp, „aber ich werde etwas finden. Da könnt ihr mir vertrauen.“ Dembowski wusste auch schon was. Er schrieb an seiner Mail an Jürgen und als er fertig war, räusperte er sich kurz. Dann holte er aus. „Das normale Leben, lieber Jürgen, findet hier bei uns im Soldiner Eck statt“, las er laut vor. Der Ermittler schaute sich um. Er wollte Zustimmung ernten, doch die anderen drehten sich peinlich berührt weg.
„Mein Gott, Dietfried“, sagte Hauke Schill, der ein Tablett voller Schulle-Flasche balancierend, wieder ins Hinterzimmer getreten war. „Hör doch mal auf mit Deinem Gesabber! Die Leute lachen schon über Dich.“ Vielleicht taten sie das auch. Reiser, der sich zwei Flaschen angelte und eine direkt in sich hineinkippte, interessierte das jedoch nicht. Es war ihm doch egal, wer über Dembo lachte und wer nicht.
Es war ihm ebenso egal, ob Klopp ins Soldiner Ecke kam oder nicht. Reiser hatte genug erlebt. Einmal, als er Klopp auf Sylt besucht hatte – oder besser gesagt, er sich einfach in das Haus nebenan eingemietet hatte- waren sie an einem Abend über den Gartenzaun lehnend sogar ins Plaudern gekommen. Mehr ging nicht.
Von wegen SCHATTENBUNDESTRAINER!
Egal: Auch nach Jürgen Klopp würde noch Fußball gespielt werden und auch nach Klopp würde noch jemand mit ihm plaudern. Was dachte der Ermittler sich überhaupt? Ein Rücktritt war nicht das Ende der Welt, es war nur der Beginn einer neuen Geschichte, bestenfalls einer, die er ausschlachten konnte. Mit Liverpool hatte er in den vergangenen acht Jahren einen 19. Bundesligisten begleiten müssen und er hatte es gerne getan.
Das würde er sich nicht nehmen lassen. Nicht von einer dahergelaufenen Werbeikone namens Klopp! Reiser sah nur die Geschichten, die er schreiben konnte und die würden bald weniger werden. Er war stinksauer auf Klopp. „Dieser Penner“, schoss es aus ihm heraus. Zum Glück hatte er keine Zeit für noch mehr Wut. Er musste arbeiten. Jetzt lagen die größten Geschichten auf der Straße. Doch sie saßen hier und feierten sich für eine kleine Entdeckung in den Daten und hingen ihren verwirrten Gedanken nach. Frankfurt/Oder? Was dachte Dembowski eigentlich, was er hier wem erzählte. Er war Reiser und er hatte schon die Griechen besiegt.
„Was soll ich jetzt zurückschauen, was soll ich mich darum kümmern, was war? Was wichtig ist, dass wir jetzt in die Kabine kriechen können, dass wir erzählen können, wie es wirklich war“, schrie er. „Wir brauchen Emotionen, wir brauchen Tränen, wir brauchen Drama! Wir müssen endlich hinter die Geschichte kommen! Das und dann müssen wir spekulieren. Richtig spekulieren. Was macht Klopp, was wird deshalb aus Nagelsmann und wird Alonso den Trainerjob in Liverpool überhaupt ablehnen können? Was sind die Auswirkungen auf die Bayern??? Wann wird aus dem SCHATTENBUNDESTRAINER Klopp endlich der BUNDESTRAINER Klopp??????“
Schill: HSV neue Lebensaufgabe für Klopp
Reiser trat bei jedem Fragezeichen einmal gegen den Tisch. JHS konnte gerade noch seinen KiBa retten. Der Star des Boulevards war außer sich. „KLOPP IST UNSERE RETTUNG“, brüllte er noch einmal an, dann verstummt er. „Was meinst Du mit uns? Das Soldiner Eck?“, fragte Hauke Schill interessiert, JHS erzählte was aus seinem Datenhandbuch, während Dembowski komplett durchdrehte. „Reiser, wusstest Du: Klopp hat mit seinem Versagen im letzten Saisonspiel 2013, als er Lewandowski zum Torschützenkönig machen wollte, Nagelsmann überhaupt erst ermöglicht. Wäre doch lustig, wenn er jetzt auch die Karriere des Longboardkünstlers beenden würde“, sagte der Ermittler und zitierte aus seinem Text über die Saison der Zeitenwende, über die Saison 2013/2014.
„Ich denke“, sagte Schill, „Klopp wird zum HSV kommen. Kann sich jetzt endlich gute Hosen leisten und wir sind doch die letzte verbliebene Herausforderung im Weltfußball. Wenn einer den schlafenden Riesen zur natürlichen Größe erwecken kann, dann doch Sir Jürking Klopp.“ So eine Bande hatte Reiser in seiner langen Karriere noch nie erlebt. Hatte denn hier niemand das Geschäft im Blick? Wo war er hier hineingeraten? Es wurde noch schlimmer, denn der Ermittler fing jetzt erst an.
Von wegen Skandalwahl: Flick war nie Welttrainer
„Erinnerst Du Dich, Reiser? Pandemie und Dein alter Kumpel Hansi räumt mit den Bayern alle Titel ab?“, fragte er und was sollte Reiser schon antworten? Er erinnerte sich natürlich. Flick hatte der Welt unter den klinischen Bedingungen des Pandemiefußballs gezeigt, was echter Fußball ist. Gleich fünf Trophäen packte er bis zum Dezember 2020 in das Vereinsmuseum der Bayern und entzauberte auf dem Weg dorthin nicht nur Thomas Tuchel im Finale der Champions League, sondern überrollte Barcelona mit 8:2. Es war die größte Demütigung der Katalanen auf diesem Niveau und Flick hatte ihn orchestriert.
Doch als am 18.12.2020 die FIFA zu ihrer Gala einlud, wurde nicht er, sondern eben Jürgen Klopp Welttrainer des Jahres. „Ich dachte, dass Hansi Flick das gewinnen würde“, sagte Klopp nach der Preisverleihung. „Ich kann es kaum glauben, um ehrlich zu ein. Hansi hätte es verdient gehabt, deshalb war ich ja so überrascht.“
Etwas über vier Jahre später ist niemand mehr überrascht von dieser Entscheidung. Flicks Magie entschwand spätestens mit den Graugänsen über dem Zulal Wellness Resort, dem Außenposten der deutschen Diplomatie während der dahingerotzten Weltmeisterschaft. Es war ein Debakel und Flick entzaubert. Um das Turnier herum kämpfte auch Klopp um seinen Ruf. Wieder dieses verflixte siebte Jahr. Die Experten in Katar gaben sich optimistisch.
Auch Watzke hört auf. Zufall???
Er werde das Ruder schon rumreißen, erzählten sie dem Ermittler, der zwischen den Kämpfen mit JHS, über die noch zu sprechen sein wird, auch in den Stadien Katars ein gern gesehener Gast war. Doch die Experten lagen falsch. Klopp kam nicht zurück, er kämpfte sich über die Ziellinie Europa League und kreierte dann das, was womöglich als seine größte Leistung in Liverpool angesehen werden wird. Klopp schmiss nicht hin und wurde nicht gefeuert.
Für ein letztes Kräftemessen mit Pep Guardiola, seinem großen Trainerrivalen, baute ein neues Team und verschaffte Liverpool eine Zukunft ohne ihn. Das war, so darf es nicht nur rückblickend betrachtet werden, nicht selbstverständlich und es war sein großes Versäumnis bei seinem Abgang in Dortmund. Dort endete mit seinem Abgang im Jahr 2015 die Zeit. Seither steht alles still. Das ausgerechnet mit dem angekündigten Ausscheiden seines alten Freundes Hans-Joachim Watzke eingeläutete Serienfinale in Dortmund geht nun einher mit Klopps letzten Monaten als Trainer.
Der Mond ist aufgegangen
„Jürgen Klopp wird nicht mehr trainieren“, sagte JHS dann auch nach dieser Erzählung des Ermittlers, der sich schon wieder nicht nur an Schulle, nein auch an der Idee seiner BVB-Serie besoff. Reiser war so unfassbar genervt. Er hörte längst nicht mehr zu, war in den Thekenraum getreten und drehte die Jukebox auf. CCR! Das ging ihm immer runter. JHS schloss die Tür, zeigte auf seine Daten, die Erstaunliches offenbarten: „Der wird seinen Wagen nicht mehr reparieren können. Zu viel Heavy Metal. Zu wenig Leidenschaft.“
Schill sah das anders. „Was habe ich gerade über den HSV erzählt?“, fragte er JHS, den Datenfuchs am Kragen packend. Er zog ihn hoch, Dembowski öffnete die Tür zum Thekenraum, in dem Reiser mittlerweile auf einem der Tische stand und laut grölend „don’t go around tonight, well it’s bound to take your life. There’s a bad moon on the rise“ sang. JHS bekam von all dem wenig mit, er landete in Wurfdistanz des Soldiner Ecks. Über ihm hing der große weiße Mond. Es war Vollmond im Soldiner Kiez.
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Neil Jones - Jürgen Klopp and the decision which stunned football
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Richard Jolly - Jurgen Klopp defined Liverpool with energy – his ability to shock endures
Paul MacInnes - Jürgen Klopp will leave a void in Liverpool: at the club and the city
Wird Zeit, dass du mal ein Buch schreibst!