Was ist nur mit Ihnen los, Herr Dembowski?
Dietfried Dembowski stellt sich erstmals seit seiner Rückkehr den investigativen Fragen der Heistek. Das DID-Gespräch im Soldiner Eck verläuft unbefriedigend. Der Ermittler träumt von Koi.
Dembowski konnte es kaum abwarten. Endlich saß er wieder der Heistek gegenüber. Das große Comeback-Interview. Der Ermittler erinnerte sich daran, wie er vor der langen Auszeit das Tempo und den Ton der Debatten rund um den Fußball hatte bestimmen können. Teilweise hatten seine Fans die Kranichfarm am Rande der Republik belagert. Sie wussten: Hier hauste der Weltenretter und wenn sie nur lange genug warteten und ihre Feldstecher auf den bald schon überhaupt nicht mehr so kleinen See hin zu den Ausläufern der Oder richteten, konnten sie ihn dabei beobachten, wie er zu Koi hinabstieg und mit ihm in die dunkle Schlammwüste hinabtauchte. Dann wussten sie, bald würde seine Stimme wieder erklingen. Das waren die alten Zeiten.
„Verschwinden heißt, nicht mehr da sein“, dachte Dembowski und fürchtete sich, dass es aus seinem Verschwinden nicht mehr zurückfinden würde. Denn niemand hatte ihn in den vergangenen Wochen mit einem alten Feldstecher beobachtet. Koi hatte er den ganzen Winter über nur einmal sehen können. Der Karpfen war hinabgestiegen. Ihm setzte die Kälte zu. Er wolle, hatte er gesagt, den Winter unter einem Vorsprung am hintersten Ende des Sees verbringen. Dann war er verschwunden. Jetzt aber war Koi nur noch eine ferne Erinnerung. Er hatte sich mitten hineingeschmissen und dem Fußball komplett ausgesetzt. Da blieb keine Zeit für den alten Karpfen, dessen Schuppen sich längst grau gefärbt, der aber seine Weisheit mit hinab in die Tiefen des Kranichsees genommen hatte.
Gerade als Reiser mit einer Schimpftirade über die Tennisballchaoten loslegen wollte, verwies ihn Schill des Raums. Er drückte ihm ein paar Münzen in die Hand. „Mach mal Musik, Reiser“, forderte er ihn auf: „Hier ereignen sich historische Dinge. Das ist nichts für dich.“ Reiser trottete sich. Aus der Jukebox drang der neueste Hit von „Ja Panik“ in das Hinterzimmer. „Für einen Moment war ich verloren in Berlin“, sangen sie. „In meinen Schritten ließ ich Dämonen wohnen. In meinen Schritten waren alle zuhaus‘, nur ich nicht.“ Dembowski lachte. Die Wiener waren wohl mit ihm im Bus gewesen, er hatte sie nur nicht gesehen.
Herr Dembowski. Wir hören gerade „Lost“ und sie singen mit. Dabei sind Sie wieder da.
Fangen Sie schon an.
Sind Sie wieder ungeduldig. Die Bundesliga wird von einer Reihe von Skandalen erschüttert. Die Fans wollen die Diktatur.
Was meinen Sie damit?
„Wir bestimmen, wie lange die Proteste dauern“, schreiben die Harlekins aus Berlin in einer Stellungnahme. Es ist eine Drohung an die, die den Fußball lieben.
Das ist doch Quatsch. Ganz im Gegenteil. Die, die, wie sie sagen, den Fußball lieben, sorgen sich um ihn und wollen ihn pflegen. Sie wurden von der DFL hinters Licht geführt. Der Zusammenschluss der 36 Profivereine hat solange abstimmen lassen, bis eine Mehrheit für den Einstieg eines Investors erreicht war. Dabei wurden fundamentale Spielregeln des Zusammenlebens verletzt, mit einer geheimen Abstimmung 50+1 außer Kraft gesetzt. Die fehlende Transparenz wurde im Vorfeld von Vereinsvertretern bereits in die Gruppen kommuniziert.
Ein Vorwurf gegen die Hertha-Fans: Investorengeld wird gefeiert, wenn es dem eigenen Verein zum Vorteil gereicht und er sich damit neue Spieler holen kann.
Hanebüchen. Ich möchte darüber gar nicht reden. Vermutlich verwechseln die Leute, die diese Vorwürfe formulieren, Hertha BSC mit Newcastle United. Im Westend gibt es jedoch keine englischen Verhältnisse. Die Investorenjahren haben allen gezeigt, dass dieser Fußball in Deutschland eben nicht möglich ist. Er führt erst in die finanzielle Abhängigkeit und dann in den moralischen Ruin. Sind die Anteile einmal aus der Hand gegeben, ist nichts mehr zu kontrollieren. Deswegen müssen wir diese Vorwürfe unter irreführend abheften. Trotzdem habe ich eine Sorge. Eine große Sorge sogar.
Welche ist das?
Es ist nicht einfach: Wir können nicht über Hertha reden, ohne über Kay Bernstein zu reden. Das schmerzt immer noch so sehr. Das unvollendete Leben liegt offen vor uns. Wir können uns seiner Worte bedienen, doch er kann ihnen nichts mehr hinzufügen. Er hat den Weg grob skizziert, doch noch ist das zu viel Unschärfe. Doch ein anderer Punkt ist mir wichtig: Hertha BSC tanzt am Abgrund. Seit Bernsteins Tod gibt es dort nicht mehr eine Simulation einer Normalität. Jedes Spiel ist emotional aufgeladen, jedes Spiel endet mit sportlichen Rückschlägen. Der Traum vom Pokalfinale ist ausgeträumt, der vom Aufstieg war nie realistisch. Im Westend müssen sie nach unten blicken, die paar Punkte Vorsprung sind schnell verspielt. Noch konzentriert sich alles auf Schalke. Das könnte sich schon bald ändern.
Dürfen die Berliner „Tennisball-Chaoten“ deswegen nicht mehr protestieren?
Nein. Das will ich damit nicht sagen. Nur sollten sie sich vielleicht nicht an die Spitze stellen. Dafür ist der Verein aus nachvollziehbaren Gründen zu angefasst gerade. Es ist bewundernswert, dass sie es trotzdem machen. Weil sie sich damit eben keinen Gefallen tun und den Absturz in Kauf nehmen. Es zeigt, wie wichtig es ihnen ist.
Einige Medien sprechen den Zuschauern das Recht auf Proteste jedoch ab. Sie schaden ihrem Anliegen, schreiben sie.
Es sind die gleichen Muster, die wir bei weitaus wichtigeren Themen in den vergangenen Monaten haben beobachten dürfen. Da wird einfach nur dumm rumgebrüllt. Die Versuche, den Menschen mit den sogenannten „Schleuder-Chaoten“ Angst zu machen, sind ja wirklich so amüsant wie tollpatschig. Die, die sich für das Establishment halten, kämpfen einen verlorenen Kampf. Das wissen sie.
Das wissen sie?
Wissen Sie: Wir reden hier in erster Linie von einer Kampagne der alten Herrscher über das Spiel. Sie verstehen nicht, dass in den letzten zehn, zwanzig Jahren Menschen mit dem Spiel alt geworden sind, die sich nicht für die Meinung dieser Leute interessieren. Diese Leute steht für den Ausverkauf des Spiels, sie würden mit dem blutigsten aller Autokraten ins Bett gehen, nur um international wettbewerbsfähig zu bleiben und es dann doch unter der Flagge der Menschlichkeit verkaufen. Das System Fußball ist vor die Wand gefahren und die, die das sichtbar machen, werden dafür abgestraft.
Wie soll sich das ändern?
Solange in Deutschland keine ernsthafte Diskussion darüber geführt wird, was wir für ein Fußball wollen und solange niemand eine Vision für die Bundesliga entwickelt, wird sich nichts ändern. Spielerinterviews in der Kabine, geführt von Vereinsmedien, sind ja keine Rettung, Langzeitdokus über die Liga dürften nach der ersten Aufregung floppen. Wer das sehen will, kann sich auch gleich ein wärmendes Kaminfeuer auf den Smart-TV runterladen. Das dürfte in etwa ähnlich spannend sein.
Spannend ist ein gutes Stichwort. Haben Sie beim Spiel der Dortmunder Borussia in Heidenheim auch bis zum Schluss gezittert?
Was soll das hier sein? Dieses Interview ist eine einzige Provokation.
Borussia Dortmund spielt eine hundsmiserable Saison.
Korrekt. Stehen trotzdem vor Leipzig.
Das ist doch nicht genug. Was sollte der BVB tun?
Zu Ihrer Anmerkung: Der vierte Platz muss reichen. Zu Ihrer Frage: Das wollen Sie nicht wissen.
Sie sind so erfrischend wie der Dortmunder Spielaufbau über Özcan und Sabitzer.
Jetzt hören Sie doch auf.
Das wird man doch noch sagen dürfen.
Borussia Dortmund spielt eine Übergangssaison. Wie eigentlich immer in den vergangenen zwölf Jahren.
Das bedeutet?
Der BVB ist ein Übergangsverein, nur ist überhaupt nicht klar, ob bald Sommer oder Winter wird. Die Jacken sind gleich. Nur die Zukunft kennt niemand. Und das …
… hat damit zu tun, dass der BVB keine Zukunft hat und in der Gegenwart gefangen ist. Sie wiederholen sich. Was ist nur mit Ihnen los, Herr Dembowski?
Ich bin noch nicht bereit. Ich bin immer noch am See und steige zu Koi hinab. Der alte Karpfen braucht mich jetzt.
Herr Dembowski, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Dafür nicht.
Und mit diesen Worten war Dembowski zurück am Kranichsee. An seinem Ort der Stille war er bei sich. In der Dunkelheit der oderbruchschen Tiefsee konnte er alles ausblenden. Er wusste den schuppigen Körper des alten Karpfens neben ihm, der ihn bald mit seiner Schwanzflosse berührte und ihm dadurch den Weg in die hintersten Ausbuchtungen dieser fremden Welt weisen konnte. Wenn er eins mit den Schlingpflanzen wurde und sich seine Spuren an der Erdoberfläche auf die abgelegten Kleidungsstücke reduzierten, entschwand er seinem Körper und begab sich auf lange Reisen zu längst vergangenen Tagen. Die Wahrheit, so befand er, war mehr als das, was sich aus den Bruchstücken der Gegenwart zusammensetzte.
Abends dann, nachdem er sich von Koi verabschiedet hatte, saß er an langen Sommerabenden auf der Veranda und begleitete Dörtes Gitarrenspiel. Gerne saßen sie beisammen und sangen „Du gehst wie ein Leguan“. Es war ein Lied, in dem sich ihr Leben widerspiegelte und das zerbrechlich, wie das Glück war, das sie in diesen Momenten verspürten. Wenn sie Glück hatten, gesellte sich ein Kranichpaar zu ihnen und gemeinsam blickten sie in das weite Land Brandenburgs. Über die Jahre waren in der Distanz ein paar Windräder emporgekrochen. Die Kraniche fürchteten sich vor ihrem Schlag, doch gemeinsam hatten sie neue Flugrouten entwickeln können und somit das Leben ganzer Familie retten können.
All dieser Erinnerungen kamen im Hinterzimmer des Soldiner Ecks sitzend wieder hoch. „Wann, Koi, wann?“, stieß er aus und verschwand. Als er die Tür öffnete, traf ihn ein Tennisball, den Berenice Hagenberg-Scholz abgefeuert hatte. Es war ihre Form der Trauer. RaRa würde sie nie vergessen.
Kurz vor dem Jahreswechsel 23/24 hatten die Stimmen den Ermittler gerufen und letztlich hatte er sich nicht wehren können. Die Ruhe der Kranichfarm war ihm lange ein willkommener Gegensatz zu der Überschallgeschwindigkeit des Alltags als Ermittler in einer verkorksten Welt geworden, doch die Bande im Soldiner Eck war ihm ans Herz gewachsen. Trotz aller Enttäuschungen.
So hieß es Ende 203 wieder: Aufstehen, rausgehen. Doch draußen, war es nicht mehr so schön. Da war immer jemand immer hinter ihm. Da war immer jemand hinter ihm. Da war immer jemand, der ihn rennen ließ. Er suchte die Tür, die ihn zu der anderen Seite bringen würde. Er fand sie nicht. Piotr, den alten Konstrukteur, hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Seine Realität war Reiser, der sich bei Schill eingenestet hatte. Seine Realität war Justin Hagenberg-Scholz, der in seinen Ansichten sehr weltlich daher kam und ihn noch Ende 2022 komplett aus der Spur geworfen hatte. Die Pandemie, der Krieg. Er hatte es überstanden, doch die Ereignisse des Dezembers 2022 waren von ganz anderer, weil ihn betreffenden Brutalität. Der Verrat war so offensichtlich wie notwendig. „Irgendwer“, hatte JHS damals in den Türmen zu ihm gesagt, „muss sich um uns kümmern. Du, lieber Dietfried, machst das nicht.“
Diese Zeiten waren nun endgültig vorbei. Mit dem ersten DID-Gespräch gab es kein Zurück mehr. Den Verrat aber würde er nie vergessen, noch aber spielte er mit. Ob JHS etwas ahnte?