"Der beste Stürmer Europas"
Als die Welt sich noch langsamer drehte, verkauften einem die Vereine der Bundesliga auch mal einen 34-jährigen Österreicher als die große Hoffnung. Ottmar Hitzfeld fand das normal.
Im Sommer 2003 war der Dortmunder Meistertrainer Ottmar Hitzfeld längst nicht mehr der Dortmunder Meister- und Champions-League-Sieger-Trainer, sondern vielmehr eine Klub-Ikone beim FC Bayern. Er war beim BVB 1997 mit der Zigarre im Mund erst auf den Posten des Sportdirektors weggelobt worden und dann eben auch genau dadurch in die Hände der Münchener getrieben.
Während Borussia Dortmund sich in den kommenden Jahren durch Nevio Scala und Michael Skibbe plagte, mit erst Udo Lattek und dem damals noch beinahe jugendlichen Matthias Sammer zu einer trügerischen Stabilität finden konnte, schloss Hitzfeld beim Endspiel gegen Manchester United eine lebenslange Freundschaft mit Sir Alex Ferguson und kam stärker zurück. Es war die Zeit vor den nutzlosen Postings der Fußball-Profis in den Sozialen Medien, die Zeit, in der der Verstärker noch die Lokalzeitung war und sich der Spott nicht kübelweise ergoss.
Bayerns großer Triumph in der Champions League
Es war subtiler. In den damals schon existierenden Foren des Internets diskutierten sie trotzdem eifrig und trugen so ihre Erinnerungen zusammen. Vielleicht lassen sich diese auch heute noch finden. Doch die Spuren sind längst verwischt, die meisten Orte ausgelöscht. Gäbe es sie noch, so könnte man heute zum Beispiel im Forum der verblichenen Musikzeitschrift „Intro“ über das Konzert der Friends of Dean Martinez im Kölner Gebäude 9 lesen. Die Texaner traten dort vor sicher 120 Zuschauern auf, was in der gigantischen Halle immer noch trostlos aussah. Aber die Friends of Dean Martinez hatten auch schon vor wenigeren Zuschauern gespielt.
Die Band betourte damals ihr Album „Wichita Lineman“, das von der Visions damals mit 10/12 in höchsten Tönen gelobt wurde. „Drei Schritte verhallen im leeren Kinosaal, der Filmprojektor rattert los, und schon sind wir mitten drin: in einem Meskalin geschwängerten Roadmovie für den Kopf, directed by: Bill Elm“ war dort über die CD zu lesen. Die Spuren des Albums lassen sich ebenfalls nicht im Internet finden. Zumindest nicht beim Streamingportal „Spotify“. Dort gibt es ein paar andere, ebenfalls hörenswerte Platten der Band, die auf dem SXSW in Austin mit einer Pedal Steel in den Schaufenstern der Kneipen saß, während Strohballen über die Straßen wehten.
Skandal im Kunstwerk
Fünf Tage vor der Veröffentlichung von „Wichita Lineman“, das natürlich nach dem Klassiker von Jimmy Webb benannt war, trat die Band von Bill Elm nun also im Gebäude 9 auf, doch als sie halb durch ihr Set waren, leerte sich der Raum. Es hatte sich herumgesprochen, dass der FC Bayern nicht nur im Finale der Champions League stand, denn das war allen bekannt, sondern dort nun nur noch wenige Minute vom Elfmeterschießen entfernt war.
Die Zuschauer strömten durch den Vorraum hinaus auf den Hof und rannten über die Deutz-Mühlheimer-Straße in eine Kneipe, in der nun nicht nur die paar Leute saßen, die ohnehin das Spiel sehen wollten. Zu ihnen hatten sich die meist hornbebrillten Konzertbesucher gesellt. Sie sahen nun wie erst Sergio den Ball über das Tor setzte und Oliver Kahn dann zum großen Helden der Bayern aufstieg. Ottmar Hitzfeld aber konnte nun niemand wer vom Thron stoßen. Er war zweifacher Sieger der Champions League. Mit zwei Vereinen.
Weil aber keine Bayern-Fans unter ihnen waren und sie hofften, dass das Konzert im Gebäude 9 immer noch im vollen Gang war, rannten sie zurück. Doch die Friends hatten längst ihre letzten Töne ausgespuckt. Im Kunstwerk nebenan gab es zum Glück eine Vernissage, in die die Massen nun strömten, aber aufgrund der verschiedenen Locations nicht mehr wusste, was eigentlich passierte. Eine Überwachungskamera zeigte später die Aufnahmen einer Gruppe von mutmaßlichen Fußball-Fans, die sich eine Installation genauer anschauten. Einer von ihnen schnappte sich einen alten Röhrenfernseher und schmiss ihn ein Loch.
Die nächste Aufnahme zeigte die davoneilenden Fans und die quietschenden Reifen eines Tourbusses, der seine Türen öffnete. Bill Elm zog sie noch vor der eintreffenden, aufgebrachten Meute hinein. Der Van raste in Richtung andere Rheinseite und spuckte die Gruppe erst wieder auf den Ringen aus. Dort zerstreute sich die Nacht.
Comical Ali regierte die Welt
Rund zwei Jahre später nach diesen Ereignissen, nachdem der BVB in Rotterdam am UEFA-Cup geschnuppert hatte und sich die Meisterschaft auch durch eine legendäre Schwalbe gegen Köln ergaunert hatte, saß Ottmar Hitzfeld im September 2003 auf dem Podium und musste die Frage nach dem besten Stürmer der Welt beantworten. Diese hatte ausgerechnet der FC Schalke 04 aufgebracht, der Anfang der 2000er-Jahre noch ein echtes Schwergewicht im deutschen Fußball war.
Doch auch dort war ihr Handeln von einem Größenwahn geprägt, der nicht immer zielführend war. Es war eben nicht nur Gerald Asamoah, der einige Jahre großspurig von seiner anstehende B1-Tour erzählte, nur um dann von den am Boden liegenden Dortmundern am 12. Mai 2007 eingestampft zu werden, sondern vielmehr der komplette Verein, der die Kontrolle langsam verlor.
Im Sommer 2003 hatten die Schalker sich um den spanischen Stürmer Fernando Morientes bemüht, am Ende jedoch den 34-jährigen Österreicher Edi Glieder vom FC Superfund Pasching verpflichtet. „Glieder ist aktuell der beste Stürmer Europas“, begründete der damalige Pressesprecher der Königsblauen, Gerd Voss, die Verpflichtung und fühlte sich dabei vielleicht wie „Comical Ali“, der nur wenige Monate vorher als irakischer Desinfotainmentminister Schlagzeilen geschrieben hatte.
Zwei Tore bis zur Legende
„Trommeln gehört zum Handwerk“, sagte Ottmar Hitzfeld in diesen September-Tagen 2003 und kommentierte den Transfer von Glieder nicht weiter. Nach zwei Toren in der Saison 2003/2004 zog es Glieder zurück nach Österreich.“ Ich habe das Schalker Interesse aber nicht ernst genommen und Stefan gesagt, dass ich sicher nur einer von vielen Kandidaten bin. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Schalke tatsächlich einen 34-jährigen Österreicher verpflichten will“, erzählte er Jahre später in einem Interview und erinnerte sich an seine Zeit als Kultspieler in der Bundesliga.
Ottmar Hitzfeld wurde neulich 75 Jahre alt. Die Saison 2003/2004 war seine vorerst letzte Saison in der Bundesliga. Er kehrte später noch einmal als Feuerwehrmann beim FC Bayern zurück. Felix Magath hatte seine Koffer packen müssen. Hitzfeld räumte das Double ab und verschwand kurz bevor mit Jürgen Klopp ein neuer Legendentrainer in Dortmund erwuchs und die Mannschaft des BVB für kurze Zeit wirklich die beste Europas wurde. Davon ist das aktuelle Team von BVB-Trainer Edin Terzić momentan so weit entfernt wie Edi Glieder im Jahr 2003 vom Titel des besten Stürmers Europas.