Das Ende aller Heldenerzählungen
Was ist eigentlich mit Dietfried Dembowski los? Wo ist der alte Szene-Held abgeblieben? Bevor der mehrfache Ermittler des Jahres in Vergessenheit gerät, taucht er lieber wieder auf.
Das pochende Herz des Landes spiegelt sich im Mittellandkanal. Eine einsame Laterne wirft ihr Licht auf die vier Schlote des VW-Werks, das Industrieerbe der alten Bundesrepublik. Genau hier endet das Schweigen, das eine ganze Nation erschütterte. Der Ermittler spricht wieder. Zu wenig Worte, zu viel Regen. Er kann es nicht ertragen. Dembowski stürmt den Wolfsburger Hauptbahnhof durch das kleine Tor, das die Stadt zum Kanal öffnet.
Auf Gleis 5 wird der Zug in Richtung Bundeshauptstadt erwartet. Versprengte Gestalten in dicken Mänteln blicken stumm gen Westen. Der ICE rauscht an. Stille. Atemlos. Wird er halten? Der alte, fade Witz. Ja! Dembowski rennt zur Tür, drängt die Schwachen zur Seite und betritt das Grauen, das dieses Leben in der Öffentlichkeit bedeutet.
Die Lage am Ende des Jahres hatte sich noch einmal verkompliziert. Die Borussia hatte sich nicht mehr von der Panik des 27. Mais erholt und eine Angststörung entwickelt. Ein Paradebeispiel dafür war das Versagen im letzten Spiel des Jahres. Wieder ging es gegen den FSV Mainz 05 und natürlich auch um Edin Terzić. Der Trainer der Dortmunder war im Frühsommer 23 in dem Moment Geschichte, in dem er sich für Sébastien Haller und gegen Emre Can als Elfmeterschützen entschieden hatte.
Der Erfolg zerstört ein Trio
Terzić hatte eine Heldengeschichte schreiben wollen, die es so in der Geschichte des Fußballs noch nicht gegeben hatte und war dabei an der Menschlichkeit gescheitert. Das Fußballgeschäft war nicht für Menschen gemacht, die ihren Verein liebten und für die dieser Verein alles war. Auch das hatten die auf den Mai folgenden Monate gezeigt.
Bo Svensson bei eben jenen Mainzern, Urs Fischer bei Union Berlin und später auch Steffen Baumgart beim 1. FC Köln. Sie alle waren an ihrem Heldenstatus zerbrochen und fanden keinen Weg mehr zurück in die Realität des Fußballs, die immer nur darauf angelegt, Helden von ihrem Thron zu stoßen.
Fischer zahlt für Unioner Arroganz
Besonders mit Fischer konnte Dembowski mitfühlen. Von der zweiten Liga ohne Umwege in die Champions League und von dort ohne Umwege in die Arbeitslosigkeit. Im Sommer hatte Union Berlin eine Kadervernichtung unvorstellbaren Ausmaßes betrieben. Mit einer ungeheuerlichen Arroganz hatte der Vorstadtklub aus Köpenick den Weg der Außenseiter verlassen.
Auf den neuen Pfaden aber regierten ganz andere Wachposten und diese hatten sie mit all ihrer leidenschaftslosen Geschäftigkeit zurückgestoßen. All die Gosens, Bonuccis und Vollands waren nicht für das beschauliche Köpenick gemacht. Fischer hatte dafür den Preis gezahlt, so wie Svensson für seinen Sieg gegen die Bayern im April 2023 und Baumgart für das Kölner Chaos, das sich ganz langsam über den für kurze Zeit seriösen Effzeh gestülpt hatte.
Reiser vernichtet Terzić
Sie alle sind Geschichte und Edin würde es auch bald sein, denkt Dembowski nun also als sich die Tür zum Speisewagen öffnet und er jemanden erspäht, der das Grauen des öffentlichen Lebens nur noch verstärkt: Reiser! Der alte Boulevard-Hengst hat zahlreiche Weinflasche auf dem Tisch aufgetürmt und ist in ein Gespräch vertieft. Der Ermittler setzt sich, zieht seine Kopfhörer über und hört.
„Immer wenn wir nachts irgendwo Fastfood essen, sagen wir, dass wir den Süle machen“, erzählt der wettergegerbte Typ an Reisers Tisch. Sie lachen ihr dreckiges Lachen und ziehen über Edin her, der den Laden schon längst verloren habe. „Ich lasse den noch ein wenig leben“, sagt Reiser, „und dann drehen wir ihn richtig um. Kehli will sich das nicht länger bieten lassen. Dieses unfähige Vereinsmaskottchen an der Seitenlinie. Es ist nicht zu ertragen! Da kannste gleich Emma hinstellen, die kann die Lieder auch singen.“
Sein Gegenüber, Reiser spricht ihn mit Horst an, nimmt einen großen Schluck. „Aki hat den Überblick verloren. Der ist überall. Nur nicht mehr beim BVB. Was der alles macht und wie sehr ihm alles außer Kontrolle geraten ist. UEFA, DFL und DFB. Das kann nicht klappen und sein Statthalter Carsten Cash. Bruhahahaha“, sagt der, der Horst genannt wird und der Zug rollt weiter in Richtung Spandau.
Wer soll die Welt sonst schon retten?
Der Zug rollt über die Elbe, die viel zu viel Wasser mit sich führt, vorbei an der kleinen Burg in Rathenow, die hoch über den Lauben über die Züge wacht und sie vor der Bundeshauptstadt noch einmal an das alte Brandenburg erinnert.
„Dieser verdammte Reiser“, denkt Dembowski und schnappt sich seine Tasche. In Spandau bleibt gerade genug Zeit für ein Schulle und ein kurzes Telefonat. „JHS“, brüllt er, „gleich im Soldiner Eck. Wir müssen reden.“ „Dietfried“, antwortet JHS, „auch da hat sich die Welt verändert.“
Das aber konnte nicht das Problem sein. Der BVB war in Gefahr und die Welt auch. Wer sollte sie sonst retten?