2013/2014: Saison der Zeitwende
Erik Durm hat seine Karriere beendet. Mit nur 31 Jahren kann er nicht mehr. Der vergessene Weltmeister von 2014 steigt in der Saison 13/14 zum Fanliebling auf. Es ist die Saison der Zeitenwende.
In der Saison 2013/2014 hatte der BVB sich vielleicht an den Erfolgen der Vorjahre satt gefressen. Vielleicht auch nicht. Es war egal. Der Fokus lag ohnehin jetzt auf Pep Guardiola, dessen erste Pressekonferenz als Trainer des FC Bayern München weltweit in etwa so viel Aufmerksamkeit erfahren hatte, wie es sonst nur dem da ja erst einige Jahre zuvor verblichenen Steve Jobs auf seinen alljährlichen Präsentationen der neuesten Apple Gadgets zuteilgeworden war. Guardiola war der Heilsbringer für die Bundesliga, die überhaupt nicht an Heilung interessiert war. Denn sie krankte an nichts.
Mit Guardiola ändert sich dies, obwohl die Faszination für den neuen Welttrainer im Dienste der Bayern in den ersten Monaten alles andere überspielte. Seine Idee des Fußballs war noch überlegener, noch weniger anfällig für Überraschungen. Der Katalane machte den Bundesliga-Fußball insofern gerechter, als dass er in der Liga für ein neues Spielfeld sorgte. Auf dem spiegelten sich die finanziellen Verhältnisse wider. Der FC Bayern hatte das meiste Geld, die besten Spieler und jetzt auch den neuesten Schrei auf dem Platz.
Der BVB läuft Bayern davon
Wild waren die letzten Jahre verlaufen. Mit Klopps Dortmund war zum ersten Mal seit Bremens letztem Hurra in den mittleren 00er-Jahren ein echter Herausforderer erschienen. Anders aber als der SVW ein knappes Jahrzehnt zuvor, konnte der BVB diesen Schwung mitnehmen. Zwei Meisterschaften und der unwirkliche Lauf bis ins Finale der Champions League hatten den Namen Borussia Dortmund in alle Ecken der Welt getragen. Über den Trainer wurden Wunderdinge erzählt, das Stadion war das Ziel aller Träume eines jeden Fußballfans und die junge Mannschaft begeisterte.
Der Verein erzählt die Geschichte der Wiederauferstehung aus dem Totenbett und er erzählte sie auf sehr vielen Ebenen sehr gut. Die Menschen hingen an ihren Lippen und an den Worten, die englischsprachige Fanaccounts im Internet auf die Reise schickten. Der BVB war nicht nur aufgrund seiner Spieler „Europe’s hottest club“, wie der lebenslange BVB-Fan Uli Hesse in seiner so oft zitierten Titelgeschichte des Magazins „442“ geschrieben hatte. Der BVB war spätestens nach Malaga und Madrid die größte Sache auf dem Planeten Fußball.
Der BVB macht Julian Nagelsmann zum Bundestrainer
Doch durch die ersten Risse drängten die dunklen Wolken schon spät in der Saison 2012/2013 das Scheinwerferlicht zurück. Der Götze-Wechsel, das Versagen gegen Hoffenheim, welches die Kraichgauer letztlich auf in der Bundesliga etablierte und welches somit mehr direkt als indirekt auch Julian Nagelsmann über den deutschen Fußball brachte und die Niederlage gegen Bayern München in Wembley, in der schon so viel der auch daraus resultierenden Dominanz der Bayern angelegt war.
Der FC Bayern hatte nach der Ritterschlacht zwischen Ricken und Breitner den großen nationalen Widersacher auf der größtmöglichen Vereinsbühne mit gütiger Mithilfe des italienischen Schiedsrichters zurückgewiesen. Der BVB mochte der heißeste Verein sein, der erfolgreichste war er da nicht mehr.
Dass dies so bleiben würde, war allen Beobachtern der ersten Wochen der Saison 2013/2014 klar. Doch noch erschien Bayerns Aufschwung in einem anderen Licht. Niemand hatte die Auswirkungen dieser ersten Guardiola-Saison erahnen können. Niemand sich die Brutalität ausmalen können, mit der die Bayern der Bundesliga fortan ihren Willen aufzwingen würden. Nicht immer ging es dabei mit auf den ersten Blick rechten Dingen zu.
Das Pokalfinale und der Einzug der Technologie
Die Regel-Auslegung der Schiedsrichter wurde noch vor der Weltmeisterschaft 2014 erstmals ein großes Thema: Der vollkommen reguläre Treffer von Mats Hummels im DFB-Pokalfinale gegen Bayern München wurde nicht gewertet, ein offensichtliches Foul an Lukasz Piszczek wenige Minuten später wohlwollend ignoriert. Die Münchener feierten, die Dortmund schimpften, wie schon im Jahr zuvor.
Das von Schiedsrichter Florian Meyer verbarrikadierte Tor wäre ein paar Jahre später ein reguläres gewesen. Die Torlinientechnologie wurde eingeführt, kurz vor dem Finale hatte sich die Klubs der DFL noch dagegen ausgesprochen. Auch die Befürworter des Videobeweises erfuhr dadurch einen neuen Schub. „Die Leute, die sich gegen den Videobeweis aussprechen, sollten einfach mal darüber nachdenken, wie es sich anfühlt, ein so wichtiges Endspiel auf diese Art zu verlieren“, sagte Außenverteidiger Marcel Schmelzer und die Bayern führten an, dass Hummels eventuell im Abseits gestanden habe.
„Die Diskussion hatte damals auch eine andere Ebene“, schrieben Rafael Buschmann und Peter Ahrens am Abend des Finals bei spiegel.de: „Gehört das Debattieren über Fehlentscheidungen nicht eigentlich zum Kern der Fußballkultur? Würde der Sport mit Einführung der Technologie nicht auch seinen Reiz verlieren?“ Knappe zehn Jahre später kann diese Frage als rein rhetorisch abgetan werden. Zu offensichtlich sind die Probleme, die diese sogenannte Gerechtigkeitstechnologie mit sich gebracht hat.
Eine überaus langweilige Saison begeistert Millionen
Doch von all dem war am Anfang dieser Saison noch wenig zu spüren. Die Bayern enteilten Borussia Dortmund am 12. Spieltag, als das Team von Jürgen Klopp mit 1:2 am Mittellandkanal unterging. Guardiola zog nach den Wolfsburger Treffern von Robin Knoche und Ivica Olic auf vier Punkte davon, der BVB schlitterte in eine Krise, mühte sich noch hinter Leverkusen und Gladbach auf Rang vier in die Winterpause.
Als die Bayern Ende März mit einem 3:1 bei Hertha BSC am 27. Spieltag die Meisterschaft klarmachten, war der BVB wieder auf Kurs Champions League, doch der Abstand betrug 25 Punkte. Pep Guardiola sagte: „Dieser Meistertitel ist für Uli. Er ist die wichtigste Person im Verein.“ Hoeneß war keine zwei Wochen zuvor in seinem Steuerprozess zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Es folgte ein langes Schaulaufen bis zum Finale in Berlin, das für beide Klubs nur durch die kurz aufeinanderfolgende Niederlagen in der Champions League gegen Real Madrid unterbrochen wurde.
Legendär dabei gewiss die Aufstellung des BVB, die mit Manuel Friedrich, Milos Jojic, Oliver Kirch, Kevin Großkreutz und Erik Durm die Königlichen an den Rand einer gigantischen Pleite brachten. Weil aber Mkhitaryan nicht traf und Xabi Alonso trotz eines taktischen Fouls im Mittelfeld nicht die zweite Gelbe Karte sah, schied der BVB aus.
Plötzlich Weltmeister
Trotzdem fanden sich nur wenige Wochen später gleich fünf Dortmunder Spieler, die gegen Real Madrid aufgelaufen waren, im WM-Kader wieder. Nach der Verletzung von Marco Reus im letzten Testspiel gegen Armenien nur Stunden vor dem Abflug nach Brasilien waren es noch vier: Mats Hummels, Roman Weidenfeller, Kevin Großkreutz und Erik Durm.
Nur Hummels spielte dann in Brasilien eine Rolle. Die größte Überraschung im Kader, Durm, hatte die Saison in Dortmund noch als Spieler der U23 begonnen, sich aber bald bei den Profis etabliert, die auf Piszczek verzichten musste, bei denen auch Marcel Schmelzer zu kämpfen hatte und die deswegen neue Außenverteidiger benötigten. Durm machte es gut, im Internet freuten sich die Menschen über den nächsten Durmsday und jubelten mit ihm, als er urplötzlich im WM-Kader landete. Doch er machte kein Spiel, wie auch Weidenfeller und Großkreutz nicht.
Wie Kevin Großkreutz das WM-Finale entschied
Der aber schrieb in dieser Saison, in der Borussia Dortmund den Anschluss an Bayern München verlor, die womöglich wunderbarste Geschichte des Fußballs. Als sich Bastian Schweinsteiger im Finale gegen Argentinien tief in der Verlängerung einen Cut zuzieht, macht sich der Junge aus Eving bereit. Er zieht seine Trainingsjacke aus, steht mit der Nummer 2 auf dem Rücken an der Mittellinie. Joachim Löw erteilt ihm noch einmal letzte Anweisungen. Großkreutz hüpft vor Anspannung auf und ab und die Kamera schneidet auf den blutverschmierten Bastian Schweinsteiger, der an ihm vorbei aufs Spielfeld stürmt.
Noch bevor sich Großkreutz wieder auf die Bank setzen konnte, wühlt Schweinsteiger, gewinnt Lahm einen Freistoß und der Ball wandert rüber zu Toni Kroos, der einen kleinen Pass auf André Schürrle spielt. Der Rest ist Zeitgeschichte. Und die Karriere von Erik Durm, dem unwahrscheinlichen Weltmeister, seit gestern beendet. Er spielte zuletzt beim 1. FC Kaiserslautern. Im Rampenlicht stand er nach der Saison 2013/2014 nie wieder.
Borussia Dortmund stand nie wieder so dicht vor dem Einzug in ein Halbfinale der Champions League, wie an jenem Tag an dem Durm, Kirch, Großkreutz, Manuel Friedrich und Jojic Real Madrid terrorisierten. Bayern München ist immer noch immer Deutscher Meister. Jürgen Klopp mittlerweile eine Legende in England. Toni Kroos spielt weiter kleine Pässe und gewinnt Titel. Kevin Großkreutz war neulich im Urlaub und steht manchmal auf der Süd. André Schürrle ist unter die Extreminfluencer gegangen. Uli Hoeneß ist längst wieder aus dem Knast und Pep Guardiola hat bei Manchester City noch mehr Geld. Klopp ist immer noch sein Kontrahent. Meistens gewinnt Pep.